Ein Pfarrer als Nikolaus

Adventfenster 2013
Adventfenster 2013

Einmal und nie wieder! Ein Pfarrer als Nikolaus

Einer meiner Jagdfreunde war katholischer Pfarrer. Er war ein waidgereichter Jäger und großer Naturfreund. Was mich aber ganz besonders für ihn einnahm war seine vorbildliche Toleranz.

Weil wir viel miteinander auf die Jagd gingen, ergab es sich, dass sich zwischen uns eine Freundschaft entwickelte und er fast jede Woche einmal bei meiner Frau und mir zu Gast war.

Da fragte ihn meine Frau eines Tages, ob er nicht für unseren damals fünfjährigen Buben den Nikolaus machen wolle. Damit erklärte sich der Pfarrer sofort einverstanden. Wenn er aber gewusst hätte, was ihm dabei blühen würde, hätte er ganz bestimmt nicht zugesagt.

Schon tagelang vor dem Nikolausabend war unser kleiner Lausbub aufgeregt und fragte immer wieder, ob ihm der Nikolaus wohl etwas bringen würde; ob er eine Rute dabei habe, ob wir glauben, dass er ihn vielleicht durchhaut, weil er abends immer nicht ins Bett gehen will, und ob er ihn vielleicht sogar in den Sack steckt und mitnimmt? So sägte er uns unentwegt an den Nerven, obwohl wir ihm versicherten, dass der Nikolaus ein lieber Mann sei und nur ganz böse Gassenbuben durchhaue und in den Sack stecke.

Endlich war es dann so weit. Als es dunkel war, fuhr ein Auto vor und kurz darauf hörten wir im Vorgarten ein Glöcklein klingeln. Aufgeregt klammerte sich der Bub an die Hand der Mutti und ich ging zur Haustüre, um den Heiligen hereinzulassen. Er sah wirklich aus wie ein Bilderbuch-Nikolaus, der gute Pfarrer. Er hatte einen wallenden weißen Bart, eine goldene Bischofsmütze auf dem Kopf und einen langen Hirtenstab in der Hand. Um die Schultern trug er einen langen reich bestickten Mantel. In einem großen Rupfensack hatte er die Geschenke für den Buben. Als wir das Zimmer betraten, saßen die Mutti und der Bub auf der Couch. Mit großen Augen starrte der Kleine den Nikolaus an. Zaghaft erhob er sich und begrüßte artig den Heiligen. Dann lief er sofort wieder zur Mutti zurück und umklammerte mit beiden Händen ihren Arm.

„Du kannst aber schön Grüß Gott sagen“, lobte der Nikolaus. „Wie heißt du denn?“

„Hubert“, antwortete der kleine Mann.

„So Hubert heißt du. Weißt du auch, wer der heilige Hubertus ist, dessen Namen du trägst?“

„Ja, Nikolaus. Der heilige Hubertus ist der Schutzpatron der Jagd und der Jäger.“

„Sehr gut! Du bist ja ein gescheiter Bub. Weißt du vielleicht auch, wer der Schutzpatron  der Tiere ist?“

„Der heilige Franziskus“, kam es wie aus der Pistole geschossen. „Der ist mein liebster Heiliger, weil er die Tiere beschützt.“

„Du liebst Tiere wohl sehr, Hubert?“, fragte der Nikolaus weiter.

„O ja, heiliger Nikolaus, furchtbar sehr. – Alle Tiere.“

„Dann fütterst du im Winter auch die Vögel?

Freilich, heiliger Nikolaus – jeden Tag. Ich gebe ihnen Hanf, Sonnenblumenkerne, Nüsse und ungesalzenes Fett. Und mit dem Vati gehe ich oft in den Wald zu den Wildfutterstellen und tue Heu in die Raufen und Eicheln in die Futterbarren.“

Der Nikolaus war sichtlich gerührt. Er strich dem Buben mit der Hand über das Haar und sagte: „Also, du bist wirklich ein lieber Bub. Wenn du so brav zu den Tieren bist, wird sich der liebe Gott sicher sehr freuen und dich Beschützen. Für deine Tierliebe musst du belohnt werden.“ Bei diesen Worten griff der Nikolaus in den großen Sack und legte eine Menge bunter Tüten und Päckchen auf den Tisch. Nachdem sich der Bub artig bedankt hatte, wollte der Nikolaus wissen: „Und bist du auch sonst immer brav und folgst deinen Eltern?“

Hubert zögerte mit der Antwort und schaute hilfesuchend erst die Mutti und dann mich an. Als ich ihm lächelnd zunickte, sagte er: „Ja, heiliger Nikolaus, ich denke schon.“

Da blinzelte der Nikolaus verschmitzt und fragte scherzhaft: „Und der Vati – ist der auch immer brav?“

Diese Frage hätte der gute Pfarrer nun wirklich nicht stellen sollen, denn die Antwort, die er von meinem Sohn darauf bekam, war verblüffend und der Pfarrer hätte sich beinahe einen Zwerchfellriss zugezogen.

Hubert sagte nämlich: „Der Vati ist immer brav, heiliger Nikolaus. Nur wenn der Herr Pfarrer zu uns zu Besuch kommt, dann saufen die zwei, wie die Bürstenbinder. Am letzten Mittwoch haben der Herr Pfarrer und der Vati in Vati seinem Jagdzimmerl drei Flaschen Wein getrunken – gell Mutti?“

Meine Frau und ich brüllten vor Lachen. Der Pfarrer aber musste doch die Würde des Nikolauses wahren und war daher gezwungen, seine Heiterkeit zu unterdrücken. Er schnappte ein paar Mal nach Luft, drehte sich dann um und bekam einen fürchterlichen Hustenanfall.

Als er sich wieder einigermaßen gefasst hatte, fragte er mit stockender Stimme: „Soll ich den Vati in den Sack stecken und mitnehmen, Hubert?“

Mit beiden Händen wehrte mein Sprössling erschrocken ab und bat: „Um Gottes Willen – nein, heiliger Nikolaus, das darfst net tun. Nimm lieber den Herrn Pfarrer mit“ Der wohnt in dem großen Haus gleich neben der Kirche.“

Nun war es mit der Beherrschung des guten Geistlichen endgültig vorbei. Er machte auf dem Absatz kehrt und verließ fluchtartig das Zimmer. Im Hausflur lehnte er sich an die Wand und krümmte sich vor Lachen. Zu mir aber sagte er später: „Mein lieber Spitz, bei deinem Junge mache ich in meinem Leben keinen Nikolaus mehr.“

Heinrich Schneider-Dießen

 

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