Der Koch, der den Winter kochte

Adventfenster 2014 der Familie Hannen
Adventfenster 2014 der Familie Hannen

Der Koch, der den Winter kochte

 

Sein Haus hatte einen Schornstein, aus dem es jeden Abend qualmte, wie aus einer Fabrik. Man konnte den Qualm und die Spitze einer hohen dunklen Tanne vom Dorf aus sehen und schon oft fragten sich Leute, die neu in das Dorf im Tal kamen, ob es dort hinten brannte. Doch dann erklärten ihnen die Leute, die schon länger im Dorf im Tal lebten, dass es nur der Qualm aus dem Schornstein vom Haus des alten Kochs war, den sie jeden Abend aufsteigen sahen.

Dabei wussten sie aber nicht, dass der alte Koch gar nicht einmal alt war, sondern er war jung. Oder vielleicht mittelalt. Und so kam es auch, dass niemand den alten Koch je zu Gesicht bekam, weil es nämlich keinen alten Koch im Dorf im Tal gab und auch nicht dort hinten, wo der Qualm jeden Abend aufstieg.

Wenn der Koch also ins Dorf ging, um etwas in dem kleinen Tante-Emma-Laden von Frau Saat einzukaufen, hielt ihn niemand für den alten Koch, der angeblich in dem kleinen Steinhaus mit der rostbraunen Holztür, neben der hohen dunklen Tanne, dort hinten, etwas abgelegen vom Ortskern, hauste.

Dabei war er es, bloß in jung.

Er hatte sogar einen Freund, der mit ihm in seiner gemütlichen Hütte wohnte. Er hieß Aaron und war ein müder, alter Hund mit graubraunem Fell, das ihm ständig über die Augen fiel. Aaron konnte sich auch blind in den Zimmern zurechtfinden, denn es war kein weiter Weg von seiner Decke zu seinem Futternapf und wieder zurück.

 

Dem Koch gefielen die Gerüchte aus dem Dorf, weil er sie anhören konnte und gleichzeitig die Wahrheit über den alten Koch wusste. Er hatte auch nicht wirklich ein Problem damit, dass sich niemand zu seinem Haus traute.

Aber wenn es eine Zeit im Jahr gab, in der sich die Einsamkeit ein klein wenig an ihn heran pirschte, dann war es der Winter. Denn dann wurde es kalt und das Gespräch mit einem Anderen würde ihn wärmen. Deshalb unterhielt sich der Koch jeden Tag mit seinem Hund Aaron, und im Winter eben besonders oft.

 

Dabei konnte ja der Koch selbst, wenn er wollte, den Winter einfach ausfallen lassen. Ja, genau, denn dafür war er da. Er machte den Frühling, den Sommer, den Herbst, oder eben den Winter, je nachdem, was er kochte und backte. Der Qualm, der aus seinem Schornstein in den Himmel stieg, ließ es regnen, stürmen oder schneien, er konnte auch die Sonne scheinen lassen und die Temperatur verändern. Der Koch war jemand, der die Jahreszeiten machen konnte, wie er es wollte.

Aus diesem Grund kam es schon öfter mal vor, dass in dem Dorf im Tal einen ganzen Sommer lang kein einziger Tropfen fiel, wenn der Koch einmal so sehr in sommerlicher Stimmung war, dass er es nicht für notwendig hielt, es regnen zu lassen.

Es kam aber dafür auch beinahe in jedem Jahr vor, dass das Dorf im Tal den schönsten Winter auf der ganzen Welt hatte. Der mittelalte Koch liebte den Schnee und wenn er im Winter fleißig Plätzchen backte und Rotkohl kochte – und er tat seine Arbeit sehr gewissenhaft – dann schneite es manchmal unaufhörlich in den schönsten glitzernden Schneeflocken, die je ein Mensch gesehen hat.

 

An einem Abend am Ende eines kalten Novembers, nach einem wunderbar goldenen Herbst, ließ sich der Koch sichtlich erschöpft in seinen blauen Sessel fallen. Aaron lag daneben auf seiner kleinen gestrickten Decke und schnaufte vor sich hin. Der Sessel vom Koch war zu seinem Holzofen gedreht, in dem er Kekse, Brote und auch alles andere backte, was man so backen kann, und in dem er auch manchmal einfach ein Feuer anzünden konnte, das ihn abends sanft in den Schlaf knisterte.

„Jetzt ist es schon bald soweit, mein guter Aaron.“, seufzte der Koch, als ihm auffiel, wie schnell das Jahr schon wieder vergangen war. „Bald müssen wir wieder anfangen, den Winter zu kochen.“, sagte er noch, obwohl er wusste, dass Aaron niemals mit ihm kochte, sondern immer nur auf seiner Decke lag und ihm dabei zusah.

Es gab in diesem Dezember im Dorf eine junge oder vielleicht mittelalte Frau, die Bücher schrieb und Urlaub im Dorf im Tal machte, weil sie vermutlich gehört hatte, wie schön der Winter hier sein soll. Weil sie nicht so gut darin war, sich mit anderen Leuten zu unterhalten, hatte sie sich eine kleine Hütte etwas außerhalb vom Ortskern gemietet, um an ihrem Buch voller winterlicher und weihnachtlicher Geschichten weiterzuschreiben.

Nicht weit von ihrer Hütte stand ein anderes Haus, aus dessen Schornstein jeden Abend so viel Qualm aufstieg, wie aus einer Fabrik. Wenn sie im Dorf gewohnt hätte, dann hätte sie jemanden fragen müssen, ob es dort, wo der ganze dicke Qualm aufsteigt, etwa brennt. Doch sie wusste ja, weil sie es sah, dass es bloß ein qualmender Schornstein war, der zu einem Steinhaus mit einer rostbraunen Holztür, neben einer hohen und dunklen Tanne, gehörte.

Als es zum ersten Mal schneite, verließ die mittelalte Frau ihr kleines Holzhaus, in dem es nicht sehr warm war, und freute sich über die tatsächlich schönsten Schneeflocken auf der ganzen Welt.

Die Frau liebte den Schnee und auch Weihnachten, obwohl sie meistens alleine war im Winter. Also hatte sie sich etwas Weihnachtsschmuck mitgebracht, mit dem sie ihre Hütte schmücken wollte.

Aber noch nicht am ersten Dezember, denn an diesem schönen Wintertag machte sie einen Spaziergang durch den verschneiten Wald. Irgendwann kam sie zu dem alten Steinhaus mit dem qualmenden Schornstein und bemerkte, dass das Haus von der Nähe aus betrachtet ja viel einladender aussah als aus der Ferne.

 

Der Koch stand derweil vor seinem Holzofen und beobachtete die Plätzchen, die sich langsam knusprig golden färbten und es draußen schneien ließen.

„Mein guter Aaron, geh doch bitte nach draußen und sieh, ob jemand etwas in unseren Briefkasten geworfen hat.“, sagte der Koch, obwohl er wusste, dass niemand etwas in seinen Briefkasten warf, schlurfte in seinen Pantoffeln zum Hund und kraulte seine Ohren. Aaron hob kurz seinen Kopf um aus dem Fenster zu blicken, winselte leise und legte den Kopf wieder auf seine Pfoten.

„So, du willst also wieder nicht in den Schnee hinaus?“ Der Koch begab sich zurück zu seinem Ofen und nahm für einen Moment das Blech mit den Plätzchen heraus. Schon hörte es auf zu schneien und Aaron trottete aus der Tür.

 

Die Frau, die Bücher schrieb, blickte heimlich durch das Fenster mit den Sprossen, weil sie neugierig war, wer wohl in diesem Haus wohnte. Da öffnete sich auf einmal die Tür und ein müder alter Hund trottete in den Schnee. Die Frau lächelte. „Du wohnst also hier in dem schönen Haus?“, fragte sie den Hund. Aaron bemerkte den Gast erst jetzt, weil ihm das Fell wieder über den Augen hing und erschrak ein wenig. Er blieb wie angewurzelt stehen und musterte die Frau, denn er hatte noch nie jemanden gesehen, der so nahe an seine Hütte heran gekommen war. Er bellte ganz leise, wenn man das Bellen nennen kann, denn er hatte sehr lange nicht mehr gebellt und genau so hörte es sich auch an.

Da öffnete sich die Tür noch ein bisschen weiter und ein junger oder vielleicht mittelalter Mann stand mit großen Augen im Rahmen. Er trug eine Schürze und hatte etwas Mehl in seinem Gesicht.

„Guten Tag.“, sagte die Frau und lächelte. Sie wusste nicht, ob sie freundlich genug war, weil sie nicht gut darin war, sich mit anderen zu unterhalten, also sagte sie auch noch, dass der Mann eine nette Schürze trüge.

„Aber wieso kommen Sie denn hier her?“, fragte der Koch ganz erstaunt über den Besuch.

„Ich habe nur Ihr schönes kleines Haus gesehen und Ihren müden Hund.“, sagte die Frau.

„Ja aber haben Sie denn nicht gehört, dass hier ein griesgrämiger alter Koch wohnt?“, fragte der Koch.

„Sie sehen mir gar nicht so alt aus, Herr Koch.“, stellte die Frau fest und lächelte.

„Nun, das bin ich auch nicht.“, entgegnete der Mann, der in dem Steinhaus lebte.

„Und sie wohnen ganz alleine hier draußen?“, fragte die Frau, aber sie merkte dann, dass sie das lieber nicht gefragt hätte.

„Ich habe ja meinen guten Aaron und der genügt auch. Da brauche ich gar keinen Besuch. Also guten Tag.“

Der Koch kam fast etwas rau im Gespräch herüber, fand die Autorin. Er machte die Tür wieder zu und schon bald begann es wieder leicht zu schneien.

 

Die Frau verbrachte den Dezember damit, süße kleine Weihnachtsgeschichten zu schreiben. Aber sie musste auch ständig an den Koch aus dem Steinhaus denken. Sie glaubte nämlich, dass der Mann ganz einsam war und in Wirklichkeit ein netter Mensch war, der bloß einige andere nette Menschen um sich herum brauchte, gerade im Winter, damit ihm warm bliebe. Außerdem glaubte sie, dass der Koch sich ganz fabelhaft in einer ihrer Weihnachtsgeschichten machen würde.

Und als schließlich der vierundzwanzigste Dezember gekommen war, öffnete sie die Kiste, in der sie den Weihnachtsschmuck verstaut hatte. Doch statt ihr Haus damit zu schmücken, kam ihr bei seinem Anblick eine ganz andere Idee.

Sie packte all die Sterne, Christbaumkugeln, Holzengelchen und auch ein paar Lebkuchen zusammen und schleppte alles durch den Schnee zu der alten Hütte vom Koch. Da begann sie, die große dunkle Tanne, die neben dem Haus stand, ganz weihnachtlich und glänzend zu schmücken, mit all den guten Dingen, die sie dabei hatte. Sie kletterte sogar an der Tanne nach oben, um einen Stern auf der Spitze zu befestigen.

 

Man konnte jetzt den Stern und ein paar rote Christbaumkugeln vom Dorf aus sehen und die Leute im Dorf fanden, dass das der schönste Stern auf der ganzen Welt war. Also zogen sie sich ihre dicken Wintermäntel über und wanderten zu der fantastisch geschmückten Tanne, die vor dem Haus des Kochs stand und alles ganz gemütlich machte. Die Leute freuten sich über den Baum und ihnen war ganz egal, dass sie vor dem Haus standen, in dem der griesgrämige alte Koch wohnen sollte und wo sie sich bisher niemals hin gewagt hatten.

So sammelten sich die Frauen und Männer und Kinder aus dem Dorf vor dem Fenster, aus dem gerade zufällig ein müder alter Hund blickte, dessen graubraunes Fell ihm sonst immer über die Augen hing.

Aaron schob die rostbraune Holztür auf.

„Du gehst ja nach draußen? Obwohl ich es doch schneien lasse?“, fragte der Koch verwundert, aber als er sah, wieso Aaron aufgestanden war, war es nicht mehr das, was ihn wunderte.

Sondern es waren all die Menschen aus dem Dorf und die sonst so dunkle Tanne, die nun himmlisch geschmückt war mit dem schönsten Stern auf der ganzen Welt und vielen Christbaumkugeln und Holzengelchen und noch einigen kleineren Sternen. Er sah auch die Frau, die am ersten Dezember bei ihm gewesen war, und die jetzt Lebkuchen an die Kinder mit ihren Wollmützen und ihren Handschuhen verteilte.

Der Koch warf sich seinen Wollmantel über und seine große Mütze. Dann schlüpfte er in Pantoffeln und Schürze durch die Tür. Auf einmal blickten die ganzen Leute ihn an. Aber sie schienen ganz außer sich zu sein vor Freude. Sie sagten: „Er ist ja gar nicht alt.“ und „Griesgrämig sieht er auch nicht aus.“ und das tat er auch nicht, denn in seinem Bauch kribbelte etwas, sowie er die leuchtende Tanne und die Augen der Leute sah, die mindestens genauso hell leuchteten wie die Tanne, und das Etwas zauberte ein Lächeln in sein mehliges Gesicht, das von ganz tief aus seinem Herzen kam.

Die Dorfleute empfingen ihn mit offenen Armen und ließen ihn von den leckeren Lebkuchen kosten, die die Autorin gebracht hatte.

Und irgendwie schafften sie es, dass alle Menschen, die an Heilig Abend den Koch besuchten, um den kleinen Holztisch in der kleinen Küche vom Koch passten, wo es so herrlich duftete, und ein großartiges Festmahl einnahmen, das der Koch, was er nie gewusst hatte, sehr gerne mit den anderen teilte.

Und wie die Frau sich umsah, und dann und wann in die dankbaren Augen des Kochs blickte, fand sie, dass das eine ganz wunderbare Weihnachtsgeschichte geworden ist.

Und am Abend, als die Leute, mit dem Versprechen, den Koch wieder zu besuchen, zurück in ihre Häuser gegangen waren, saß der Koch in seinem blauen Sessel und kraulte Aaron die Ohren.

„So etwas!“, sagte er nur lächelnd und draußen fiel ein so schöner Schnee, wie ihn sogar die Leute aus dem Dorf im Tal noch nie gesehen hatten.

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