Weihnachten in aller Freundschaft

Weihnachten in aller Freundschaft

Uwe Berenzen

 

Mein Kollege Friedrich und ich fanden uns im letzten Jahr gemeinsam am 27. Dezember etwas missgelaunt in unserer Anwaltskanzlei ein, weil wir den Jahresausklang mit Arbeit unterbrechen mussten. Auf uns warteten eine Menge Akten, aber wir hatten keine rechte Lust, sie zu bearbeiten. Also saßen wir lieber bei einem Kaffee zusammen und erzählten uns unsere Erlebnisse aus den Weihnachts-tagen.

„Also…“, sagte mein Kollege lächelnd. „Meine Frau und ich sind am 24. doch tatsächlich zu einer guten Tat getrieben worden. Ein gutes Werk im Sinne der Völkerverständigung. Wir haben noch nie so fröhlich Weihnachten gefeiert wie dieses Mal.“

„Ganz gegen Ihren Willen haben Sie fröhlich Weihnachten gefeiert?“, fragte ich schmunzelnd.

„Nein, das habe ich nicht gesagt. Es war nur so, dass der Anfang dieser Feier ungeplant und überraschend war und wir uns vom Lauf der Ereignisse haben mitreißen lassen.“

„Herr Kollege“, bemerkte ich ungeduldig, „Sie sprechen in Rätseln. Sind sie wohl bereit, etwas konkreter in ihrer Berichterstattung zu werden?“

„Jaja, natürlich mein Herz ist geradezu voll von diesem Erlebnis“, sagte er und begann dann seine Erzählung.

„Die Wochen im Advent waren in der Kanzlei hektisch, wie Sie ja auch wissen. Ich bin zu kaum etwas Privaten gekommen, und aus dem gemeinsamen Weihnachtseinkauf mit meiner Frau, auf den wir uns so gefreut hatten, war auch nichts geworden. Endlich, am 24., als es nun wirklich Zeit wurde, fuhren meine Frau und ich in die Stadt und eilten durch die Läden, die übervoll mit Menschen waren. Mit Hängen und Würgen bekamen wir noch das, was wir meinten, an Geschenken und für die Festtage haben zu müssen, und kamen gegen Mittag völlig erschöpft wieder zu Hause an.

Kaum hatten wir ein wenig verschnauft, klingelte es an unserer Tür. Jetzt, am Heiligabend um vierzehn Uhr will noch jemand was von uns? Welch ungehobelter Mensch respektiert denn nicht den weihnachtlichen Frieden? Wir öffneten trotzdem. Ein Paar, vermutlich aus Fernost, stand mit strahlenden Gesichtern vor uns, verbeugte sich vielmals und machte uns in einem sehr gebrochenen Deutsch, das mit englischen Brocken durchmischt war, und mit viel Gestik deutlich, dass sie uns herzlich und vielmals für das hochherzige Geschenk dankten, das wir ihnen gemacht hätten.

Meine Frau und ich sahen uns erstaunt an. Wir waren uns zunächst nicht klar darüber, ob wir diese Leute kennen oder sie je in unserem Leben gesehen hatten. Dann fiel aber meiner Frau noch rechtzeitig ein, bevor es peinlich wurde, dass es sich um das japanische Ehepaar handelte, das vor ein paar Tagen in unser Nachbarhaus gezogen war. Die Frau hatte schon ein paarmal über den Gartenzaun genickt, und meine Frau hatte mir beiläufig von den neuen Nachbarn erzählt. Nach diesem Aha-Erlebnis wollten wir sie spontan zu uns hereinbitten, wie es die Höflichkeit gebietet. Aber stattdessen baten sie uns inständig, zu ihnen herüberzukommen, was wir nach einigem Zögern dann auch taten.

Wir wurden ins Wohnzimmer geführt, das sehr japanisch uns sehr geschmackvoll eingerichtet war, und gebeten, Platz zu nehmen. Ach, da sah ich ihn schon, mitten auf dem kleinen Tisch stand der mir wohl bekannte Korb.

Mein Bruder pflegte mir nämlich jedes Jahr zu Weihnachten einen Korb mit sechs erlesenen Weinen zukommen zu lassen. Er gab dieses teure Weihnachtsgeschenk in einem Feinkostladen in Auftrag und ließ es bei uns vorbeibringen. Einen weihnachtlichen Gruß beizufügen, hielt er für überflüssig. Am 26. rief er kurz an, sagte „Fröhliche Weihnachten“, fragte, ob der Wein geschmeckt hätte, und verabschiedete sich wieder für ein ganzes Jahr. Wir kannten das also schon und hatten uns daran gewöhnt. Sehr phantasievoll und feierlich war das nicht.

In diesem Jahr war nun der Korb mit dem Wein, weil wir ja uns in die weihnachtliche Hektik gestürzt hatten, bei den Nachbarn abgegeben worden. Diese – das wurde im Laufe des Gesprächs deutlich – hatten den Sinn der Übergabe des Korbes an sie missverstanden und – das wurde uns durch den tausendfachen Dank ebenfalls deutlich – hielten den Korb für ein Geschenk von uns an sie.

Es wäre jetzt natürlich einfach gewesen, dieses Missverständnis aufzuklären, den Korb unter den Arm zu nehmen, ihnen noch einmal die Hand zu schütteln und zu verschwinden. Aber die Stimmung war so gut und wir waren so nett im Gespräch, dass wir das nicht übers Herz brachten. Durch Blicke verständigten meine Frau und ich uns, dass wir es bei diesem Irrtum belassen wollten, und so konnten wir uns ganz gelöst mit unseren neuen Nachbarn unterhalten,

Als wir nun so zusammensaßen, hatte der Herr des Hauses plötzlich einen Korkenzieher in der Hand und die erste Flasche wurde geköpft. Es war ein sehr leckerer Riesling, der etwas kälter hätte sein können, aber auch so schmeckte und die Stimmung merklich hob. Meine Frau und ich hatten ja bislang noch nichts gegessen, nur morgens ein karges Frühstück, so fand der Wein nicht die passende Unterlage und wirkte deshalb umso intensiver.

Als die Stimmung ihren Höhepunkt erreichte, hatte meine Frau plötzlich eine Idee. Sie stellte fest, dass es so gegen sechzehn Uhr war, und verkündete den staunenden Anwesenden, dass es jetzt Zeit wäre, die Bescherung vorzunehmen. Sie sollten mit uns rüberkommen, dort drüben würde es richtig deutsch-weihnachtlich. Das ließen sich unsere japanischen Freunde nicht zweimal zu sagen. Wir alle sprangen auf. Der japanische Ehemann hängte sich den Weinkorb an den Arm, und dann gingen wir hinüber zu uns. Wie gut, dass ich den Tannenbaum schon in der Nacht vom 23. auf den 24. geschmückt hatte, es war also alles perfekt vorbereitet.

Ich war stolz, Kerzen anzünden zu können denn fast wäre ich der Versuchung erlegen und hätte elektrische Dinger an den Weihnachtsbaum gesteckt.

So standen wir alle mit glänzenden Augen vor unserem Tannenbaum, und meine Frau und ich schauten etwas verlegen in die Pracht, weil wir nicht wussten, wie es weitergehen sollte.

Da forderten uns unsere Nachbarn auf, die berühmten deutschen Weihnachtslieder zu singen. Das führte uns in die peinliche Situation, dass wir sie allenfalls hätten mitsummen können, weil wir die Texte gar nicht kannten. Aber meine Frau zauberte ein Heftchen heraus, das sie in einem Kaffee-laden als Beigabe bekommen hatte und in dem die gängigsten Weihnachtslieder mit Text abgedruckt waren. So konnten wir also loslegen. Die Japaner fanden das wundervoll. Dass wir so mutig an den Gesang gingen, lag vielleicht auch daran, dass wir mittlerweile die zweite Flasche geleert hatten, einen schweren Burgunder.

Dann verschwand meine Frau in der Küche, um sich dem Karpfen zu widmen, und flüsterte mir im Vorbeigehen zu, sie wüsste gerade nicht, ob die Karpfen blauer seien als sie oder umgekehrt. Ich kicherte verständnisinnig.

Nach einer Weile fröhlichen Geplauders setzten wir uns dann an den von mir eigenhändig gedeckten Tisch und verzehren die Fische, die Gott sei Dank so dimensioniert waren, dass sie auch für vier Personen reichten, und näherten uns der dritten Flasche. Da aber schritt meine Frau ein und sagte, wir gingen ja nachher noch zur Kirche und könnten dort nicht betrunken ankommen. Kirche war nun für unsere neuen Freunde das Stichwort. Sie fragten uns, ob wir Christen seien oder warum wir sonst Weihnachten feiern. Tja, warum feierten wir Weihnachten? Als Erstes fiel uns ein, dass wir heute den 24. Dezember hätten, und da feierte man in Deutschland eben Weihnachten. Doch das war natürlich eine zu schwache Erklärung für den Aufwand, den wir da trieben, und wir kramten mit etwas Mühe unsere Kenntnisse aus dem Religions-unterricht hervor und erklärten den sehr wissbegierigen Gästen, warum die Christen Weihnachten feierten. Darauf entschlossen sie sich spontan, uns in die Kirche zu begleiten. Das war insofern nicht ganz unproblematisch, als wir gar nicht wussten, in welche Kirche wir gehen sollten und wann der Gottesdienst überhaupt beginnen würde.

In einem Anzeigenblättchen sah ich dann, dass in einer Heilig-Kreuz-Kirche bei uns in der Nähe ein Gottesdienst um zweiund-zwanzig Uhr begann. Wir gingen gemeinsam hin. Wie wir vor Ort feststellen mussten, waren wir bei den Katholiken gelandet. Meine Frau und ich sagten uns, warum nicht, die machen das ja immer ganz feierlich. Und so war es dann auch. Es wurde nach Herzenslust gesungen, und wir bekamen gemeinsam ein paar passable Erklärungen für das Geschehen am Altar und über den Sinn der Predigt hin, sodass unsere japanischen Freunde mit dem Gefühl die Kirche verließen, sie wüssten jetzt, wie christliche Gottesdienste so liefen.

Als sie uns dann vorschlugen, die restlichen Flaschen nach dem Gottesdienst zu trinken, winkten wir ab. Wir waren mit unserer Kraft am Ende und brauchten Schlaf.

Am ersten und zweiten Feiertag waren wir bei unseren Kindern, sodass eine Begegnung mit unseren neuen Freunden entfiel. Aber zu Silvester, da können Sie sicher sein, werden wir den restlichen Inhalt des Wunderkorbes vernichten, und die Stimmung wird wieder ausgezeichnet sein. Ja, sehen Sie, so kann man auch Weihnachten feiern. Und ich glaube, es ist nicht die schlechteste Art.“

Und damit schloss der Kollege Friedrich. Wir tranken unseren Kaffee in Frieden aus und hatten nun keine Ausrede mehr, warum wir unsere Akten nicht bearbeiteten.

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0